Die Herren der Welt

Der Oppenheimprozess am Kölner Landgericht

Der Oppenheimprozess am Kölner Landgericht

In Köln ist eines der größten Wirtschaftsverfahren der Nachkriegszeit zu Ende gegangen. Michael Scheffer hat den Oppenheimprozess am Kölner Landgericht beobachtet.

Eine Geldbuße, eine Gefängnisstrafe und drei Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Mit diesem Verdikt, das noch nicht rechtskräftig ist, leitete die Vorsitzende Richterin Sabine Grobecker am 9. Juli 2015 ihre mehrstündige Urteilsbegründung ein. Friedrich Carl Janssen, ehemaliger Finanzvorstand des Bankhauses Sal. Oppenheim, muss für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Die Strafen für die drei übrigen früheren persönlich haftenden Gesellschafter der Bank (Matthias Graf von Krockow, Christopher Freiherr von Oppenheim und Dieter Pfundt) liegen zwischen 11 und 23 Monaten und können somit zur Bewährung ausgesetzt werden. Der Bauunternehmer Josef Esch, der sich nur noch wegen Verstoßes gegen das Kreditwesengesetz verantworten musste, wurde lediglich zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 495000 Euro verurteilt, was zu tumultuarischer Empörung im Zuschauersaal führte

Mit der Verurteilung der vier Banker wegen gemeinschaftlich begangener Untreue ist der Prozess nach 128 Verhandlungstagen in über zwei Jahren aber noch nicht letztinstanzlich abgeschlossen. Denn nicht nur der verurteilte Janssen, auch die Staatsanwaltschaft hat inzwischen Revision gegen die Urteile angekündigt, die dann vom Bundesgerichtshof in Karlsruhe hinsichtlich möglicher Verfahrensfehler oder nicht korrekter Strafzumessung überprüft werden müssten. Einst gebärdeten sich die Angeklagten wie die Herren der Welt, zuletzt sind sie sehr still geworden und überließen die Bühne einer Armada von Advokaten. Eine Chronologie der letzten Wochen:

“Eine Verständigung hat nicht stattgefunden.” Mit diesen Worten beendete Richterin Sabine Grobecker am 28. Mai die Beweisaufnahme im bundesweit beachteten Mammutprozess gegen die ominösen Exponenten des Kölner Geldadels. Noch am gleichen Tag hielten die zuständigen Staatsanwälte ihr Schlussplädoyer, in welches sie die Essenz von nunmehr fünfjähriger Ermittlungsarbeit einbrachten. Oberstaatsanwalt Torsten Elschenbroich stellte gleich zu Beginn seiner Einlassungen klar, dass es im Strafverfahren eben nicht um den Niedergang der einstmals größten Privatbank Europas ging. Zu verurteilen seien schlussendlich zwei pflichtwidrige Entscheidungen der Banker, die damit einen Schaden von über einhundert Millionen Euro zu verantworten hätten: Der Ankauf von Anteilen an einer Frankfurter Grundstücksgesellschaft und die Beteiligung an der Arcandor AG im Jahre 2008 (“Die Angeklagten wussten, was sie wollten, und sie kannten die damit bekannten Schwierigkeiten”).

Dennoch offenbarte das fünfstündige Plädoyer nicht nur entscheidende Indizien für pflichtwidrige Verstöße gegen Vermögensbetreuungspflichten, es skizzierte auch die eigenwillige Arbeitsweise der Protagonisten, welche eine finanzielle Erfolgsgeschichte sondergleichen generierte. Vor allem für sie selbst. Angefangen bei der Einsetzung des Josef Esch als Bauherrn und Generalunternehmer, über die Entwicklung fragwürdiger Steuersparmodelle für die höchstvermögende Kundschaft, hin zur Auflegung zahlreicher geschlossener Immobilienfonds im Rahmen der komplexen Esch-Oppenheim-Holding.

Esch war es auch, welchem die Millionenerbin Madeleine Schickedanz später ihr Vermögen anvertrauen sollte (1). Im Rahmen immer neuer Kredite wurde sie ab 2001 zur Großaktionärin des damaligen Karstadt-Quelle-Konzerns gemacht, die entsprechenden Geschäftsbeziehungen wurden über die Oppenheim-Bank abgewickelt, so die Staatsanwaltschaft. Der sukzessive Niedergang von Karstadt, bzw. Arcandor besiegelte 2008 nicht nur das Engagement von Schickedanz, sondern in der Folge auch das Schicksal der mittlerweile in Luxemburg residierenden Oppenheim-Bank. Das Risikomanagement hatte versagt.

Die Prozesstage im Juni waren den Verteidigern vorbehalten, die ihre Schlussplädoyers hielten. Analog zur Einschätzung der Staatsanwaltschaft wurde immer wieder auf das Jahr 2005 verwiesen: Ein Annus horribilis, an dessen Anfang der Tod des Patriarchen Alfred Freiherr von Oppenheim stand, was zu umfassenden strukturellen und personellen Veränderungen im Bankhaus führte. Im gleichen Jahr scheiterte das Delisting von Karstadt-Quelle, im Sommer übernahm Thomas Middelhoff den Vorstandsvorsitz. Unter seiner Ägide wurde der Konzern als Arcandor AG operativ neu aufgestellt, u.a. durch den Verkauf der begehrten Warenhausimmobilien an den Whitehall-Fonds (Goldman-Sachs), welche in der Folge teuer zurückgemietet werden mussten. Im Laufe seiner Amtszeit sank der Aktienkurs von ca. 10,- Euro im Jahre 2005 auf 1,30 Euro pro Wertpapier im Februar 2009 (2). Vier Monate später wurde in Essen die Einleitung des Insolvenzverfahrens beantragt. Middelhoff wurde im November 2014 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft verurteilt und wegen Fluchtgefahr umgehend inhaftiert. Im April 2015 gewährte das Landgericht Essen Haftverschonung und setzte ihn gegen Zahlung einer Kaution auf freien Fuß.

Dies wird den in Köln angeklagten Bankiers nun wohl erspart bleiben. Rechtsanwalt Dr. Daniel Krause verwahrte sich gegen den Vorwurf, sein Mandant Graf von Krockow habe anmaßend und eigenmächtig gehandelt. Die sich aus dem Aktiengesetz ergebende Rechtswirkung sei ihm nicht bewusst gewesen. Zwar räumte er pflichtwidriges Verhalten gegenüber der Gesellschaft ein, der Pflichtenmaßstab sei jedoch auf luxemburgisches Gesellschaftsrecht abzustellen, wo Sal. Oppenheim ab 2007 residierte. Er appellierte im Hinblick auf die Strafzumessung “eine Entscheidung zu treffen, die dem Grafen eine Perspektive lässt.” Die Apologien der anderen Angeklagten ähneln sich in der Argumentationsstruktur frappierend. “Eine Gefängnisstrafe wäre für einen solchen Mann (…) nicht schuldangemessen” postulierte Norbert Scharf, Anwalt des Barons von Oppenheim. Sein Mandant brauche zum Nachdenken nicht „die Stille einer Gefängniszelle“.

Auch Franz Salditt hob als Verteidiger von Friedrich Carl Janssen hervor, “dass es in seinem Leben einen strafrechtlichen Schatten nicht gegeben hat.” Im weiteren Verlauf seines Plädoyers sezierte er die Trennschärfe zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, lotete den Grenzbereich von “grob fahrlässig” bis “bedingt vorsätzlich” aus, stellte dem voluntativen Vorsatzelement die Würdigung der Billigung entgegen. Immer wieder wird auch “hohe Zeitnot” bemüht, die “schwer zu rekonstruierende chaotische Lage.” Auch der für den Investmentbereich zuständige Dieter Pfundt habe nicht vorsätzlich gehandelt, räume aber ein, sich geirrt zu haben. Sein Anwalt Felix Dörr plädierte am 19. Juni, dem letzten Verhandlungstag, dementsprechend auf Freispruch. Der Einfluss der Nichtfamiliengesellschafter (Pfundt, Janssen) sei im Bankhaus ohnehin traditionell deutlich geringer als der Einfluss der beiden adligen Familienstämme Lindenallee (Oppenheim) und Schlenderhan (von Krockow).

“Was der Bank nutzte, nutzte der Familie” (Salditt). Diese verhängnisvolle Verwobenheit mag über zwei Jahrhunderte Gültigkeit besessen haben, durch den eklatanten Niedergang des Hauses ist sie einstweilen geschichtlich überholt. Damit ist die Aufarbeitung der Geschäfte von Sal. Oppenheim allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Es stehen zahlreiche Zivilprozesse an, in denen private Fondsanleger nicht erfüllte Renditeerwartungen geltend machen wollen. Auch die strafrechtliche Aufarbeitung scheint sich zu einem Fortsetzungsroman zu entwickeln. So berichtete die Süddeutsche Zeitung am 15. Juni 2015, dass Steuerprüfer und Staatsanwälte 28 Büros und Wohnungen durchsucht hätten, offenbar vor allem von Klienten von Sal. Oppenheim. Die Zeitung spricht von “schwerreichen Familien” und “vermögenden Kapitalanlegern”. Der Verdacht: Steuerhinterziehung (3).

Der denkbar größte Schaden dürfte allemal der sein, der juristisch bislang kaum beleuchtet wurde: Der öffentlichen Hand wurden im Zuge zahlreicher Privatisierungen von Wohnungsgesellschaften und Stadtwerken elementare Teile ihrer Daseinsvorsorge entzogen. Beliebtes Modell waren zumeist sogenannte PPP-Vereinbarungen (Public-Private-Partnership), die eigentlich stets nach demselben Muster gestrickt sind: Immer zu Gunsten des Investors, immer zu Lasten der Allgemeinheit. Beteiligt war nicht selten das Bankhaus Oppenheim, so in Berlin, Bonn, Cottbus, Dresden, Gera, Kiel, Cuxhaven, Göttingen, Solingen, Bielefeld und Hanau (4). Auch die nur knapp gescheiterte Privatisierung der 42000 Wohnungen der Kölner Wohnungsbaugesellschaften GAG und Grubo wurde von der Bank vorbereitet, die für ihr diesbezügliches Gutachten drei Millionen Euro kassierte (5). Im Vergleich zu den großen Immobiliengeschäften, die im Verlauf der 2000Jahre getätigt wurden, waren das allerdings eher „peanuts“, wie es in der Bankersprache heißt. Nachdem die rot-grüne Bundesregierung mit dem Gesetz zur steuerlichen Freistellung von Veräußerungsgewinnen die Büchse der Pandora geöffnet hatte, wurden etliche geschlossene Immobilienfonds aufgelegt, welche die kommunalen Haushalte noch jahrzehntelang belasten werden.

So realisierte die Oppenheim-Esch-Holding in Köln den Komplex KölnArena/Technisches Rathaus, das Bezirksrathaus in Nippes, die Fernsehstudios in Ossendorf und das Dumont-Carree. Ihr vermeintliches Meisterstück aber war der Neubau der Kölner Messehallen. Weil das komplizierte Dreiecksgeschäft zwischen der Stadt, der Messe Köln und dem Fonds nicht ordnungsgemäß vergeben wurde hat der Europäische Gerichtshof 2009 die Rechtswidrigkeit des Deals festgestellt (6). Tatsächlich räumte der ehemalige Oberstadtdirektor Lothar Ruschmeyer, der nach Ende seiner Amtszeit ungeniert in die Geschäftsführung des Esch-Fonds wechselte, schon 2005 ein, dass es keine Ausschreibung, sondern nur eine “Art Ausschreibung” gab (7). Wenige Tage zuvor kam der WDR zu dem Ergebnis, dass die Stadt 360 Millionen Euro hätte sparen können, wenn sie mithilfe eines Kommunalkredits selber gebaut hätte. Der ehemalige Regierungspräsident Franz-Josef Antwerpes sprach von einem starken Stück (“Dann wurde ja der Rat gelinkt, aber nach Strich und Faden”), während der damals amtierende OB Fritz Schramma an dem kostspieligen Geschäft nichts Anrüchiges entdecken mochte. Er verteidigte die Vergabe an den Esch-Fonds mit der legendären Wortschöpfung, diese Angebot sei das “vorzugswürdigste” gewesen (8).

Getreu der lateinischen Binsenweisheit, dass es schwierig sei, darüber keine Satire zu schreiben (Difficile est saturam non scribere), verfasste der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl das Theaterstück “Köln ist Kasse” welches 2006 uraufgeführt wurde. Ein skrupelloser Investor, ein willfähriger Lokalpolitiker und ein strippenziehender Verwaltungschef stehen im Mittelpunkt dieses bösen Kaleidoskops aus Klüngel und Korruption. “Die Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist quasi Sachzwang” erläuterte Pachl anlässlich seiner Inszenierung, die allein im Kölner Bauturm-Theater über 70 Mal aufgeführt wurde (9). Eine weitere lateinischen Binse, wonach über die Toten nichts, außer Gutes zu berichten sei (De mortuis nil nisi bene) hinderte den bereits zitierten Werner Rügemer nicht daran, das Buch “Der Bankier – Ungebetener Nachruf auf Alfred Freiherr von Oppenheim” zu veröffentlichen (2006, Nomen Verlag, FfM). Dieses Buch verdankt seine Popularität vor allen den zahlreichen Prozessen, die von den Oppenheim-Anwälten angestrengt wurden und über die in dieser Zeitung regelmäßig berichtet wurde.

Es ist trotz einiger Schwärzungen auch heute noch äußerst lesenswert, zumal insbesondere die Aspekte Parteienfinanzierung, Arisierung oder eben die exorbitanten Vermögenssteigerungen juristisch gar nicht erst beanstandet wurden. Auch die abschließende Passage zum Komplex KölnArena/Rathaus ist nach gerichtlicher Prüfung wieder erlaubt: “Die Anmietung des Rathauses durch die Stadt (Köln) beim Investor Esch-Oppenheim auf die 30 Jahre Mietzeit gerechnet, erweist sich mit den Verpflichtungen im Kleingedruckten als ungleich teurer, als wenn die Stadt das Rathaus selbst hätte bauen lassen” (10). Zusammenfassend kann bilanziert werden, dass es sich bei alledem zuvor Beschriebenen um nichts anderes als dreiste Umverteilung von unten nach oben gehandelt hat. Wenn die gewählten Konstrukte, Schutzmechanismen und Lügengebäude nun sukzessive zerfallen, möchte man Anthony Quinn als Alexis Sorbas zitieren: Hast du jemals erlebt, dass etwas so bildschön zusammengekracht ist?

(Michael Scheffer war Mitglied der Initiative “BürgerInnen gegen Esch-Oppenheim” (BEO), die im vergangenen Jahrzehnt durch diverse Publikationen, Demonstrationen und Infoveranstaltungen versucht hat, Politik und Gesellschaft für die oben beschriebenen Aktivitäten zu sensibilisieren).

Quellen:

(1) https://www.zeit.de/2012/05/DOS-Immobilien-Esch

(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Middelhoff

(3) https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/sal-oppenheim-geldadel-unter-verdacht-1.2522811

(4) Werner Rügemer: Privatisierung in Deutschland, Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, Seite 102

(5) Ebenda, Seite 132

(6)

(7) https://www.ksta.de/koeln/-ich-habe-mich-als-opfer-gefuehlt-,15187530,13846872.html

(8) WDR-Reihe “die story”, Ingolf Gritschneder und Georg Wellmann: Das Milliarden-Monopoly, 4.7.2005

(9) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10091

(10) https://www.nachdenkseiten.de/?p=2099

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