Hambacher Forst: Die rote Linie ist überschritten

„Weißt du, was ein Wald ist?“ Mit dieser vermeintlich einfachen Fragestellung wusste schon Bertold Brecht zu provozieren: „Ist er nur ein paar Klafter Holz, oder ist er hektarweise grüne Menschenfreude?“

Obwohl der Rhein-Erft-Kreis mit rund zehn Prozent schon jetzt zu den waldärmsten Regionen Nordrhein-Westfalens zählt, finden hier in jedem Winter brutalst-mögliche Rodungsarbeiten statt. Verantwortlich dafür ist der zu Recht so verrufene RWE-Konzern, der zwischen Köln und Düren nach Braunkohle gräbt. Nachdem schon die Tagebaue Inden und Garzweiler für massive Umweltzerstörungen gesorgt haben, werden zurzeit die letzten Reste des Hambacher Forstes abgebaggert. Die so geförderte Braunkohle wird umgehend in den benachbarten Kraftwerken Frimmersdorf, Neurath und Niederaußem verfeuert – auf dass das Klima gut angeheizt werde. Bis heute wurden über 50000 Menschen zwangsumgesiedelt, rund 150 Ortschaften von der Landkarte getilgt. Gegen diese rückwärtsgewandte Form der Energieerzeugung formiert sich seit Jahren Widerstand. Eine gewisse Symbolkraft besitzt dabei die Trasse der ehemaligen Autobahn A4, welche den einstmals über 5000 Hektar großen Wald durchzieht. Diese wurde von den zahlreicher werdenden Tagebaugegnern zur Roten Linie erklärt, welche keinesfalls zu überschreiten sei, um wenigstens einen Restbestand des in Jahrhunderten gewachsenen Naturschutzgebiets der Nachwelt zu erhalten. Vergeblich. Die rote Linie ist überschritten, die Abbaukante der RWE-Bagger rückt immer weiter vor.

Davon konnten sich die – nach Polizeiangaben – über 1200 Klimafreunde ein Bild machen, die sich am 19. Februar 2017 an einem Waldspaziergang unter der routinierten Führung des bekannten Waldpädagogen Michael Zobel beteiligten. Weite Teile des im November noch unberührten Hainbuchen- und Stieleichen-Waldes gleichen nunmehr einer nuklearen Endzeitlandschaft. RWE macht ernst, was sich auch dadurch manifestiert, dass die Bagger unmittelbar an die Baumhäuser der seit 2012 aktiven Waldbesetzer*innen heranrücken. Selbst das Unterstützer*innen-Camp, welches auf der Wiese eines bekennenden Waldschützers ein Domizil gefunden hat, ist akut von der Räumung bedroht. Auch DIE LINKE Köln konnte sich ein Bild der Lage machen: Gemeinsam mit Attac und anderen hatte die Partei bereits zum zweiten Mal einen Bus gechartert, um Interessierten den Besuch des Hambacher Forstes zu ermöglichen. Dabei war auch eine hochrangige Delegation des Ortsverbandes Innenstadt/Rodenkirchen. Einige Teilnehmer des Waldspaziergangs kamen aus dem benachbarten Ausland, andere sogar aus England, Italien und Chile. Sie alle eint die Überzeugung, dass die hier demonstrierte doppelte Form der Umweltzerstörung (Waldabholzung + Kohleverbrennung) nicht mehr hinnehmbar ist, es eigentlich auch niemals war. Auch die überlieferten wiederholten Übergriffe auf Demonstrant*innen seitens Polizei und RWE-Werkschutz sind nicht zu akzeptieren.

Für das Frühjahr sind weitere Waldspaziergänge im Hambacher Forst angekündigt. Am 1. April findet zudem erstmals in Köln ein buntes Klimafest mit Infoständen, Ausstellungen, veganem Essen, Livemusik und Kinderprogramm statt, bei dem klimafreundliche Alternativen aufgezeigt und diskutiert werden sollen. Zahlreiche Gruppierungen rufen überdies dazu auf, den Anteilseignern von RWE am 27.4. im Rahmen der Jahreshauptversammlung in der Essener Grugahalle „die rote Karte zu zeigen“. Vom 24. bis 29. August findet dann wieder ein Klimacamp im Rheinischen Braunkohlerevier statt, bevor schließlich im November die UN-Klimakonferenz in Bonn kritisch begleitet wird. Der Ortsverband ruft dazu auf, sich an den vielfältigen Aktionsmöglichkeiten und Protestformen zu beteiligen; es geht um nichts Geringeres, als die zu stoppen, die die Welt zerstören. Das ist ein hehrer Anspruch.

Michael Scheffer