Landtagswahl 2017, nach der Wahl ist vor der Wahl

von Klaus Roth

Ich will und kann mit diesem Diskussionsbeitrag nicht die Frage beantworten, warum die Landtagswahl so ausgegangen ist, wie sie es ist. Ich bin überzeugt, dass es auf diese Frage auch nicht die eine Antwort gibt. Ich möchte nur den Blick richten auf einige Ergebnisse und Veränderungen, die aus meiner Sicht weitere Überlegungen anregen sollten, vor allem in den Basiseinheiten, die direkt vor Ort tätig sind. Die Genossinnen und Genossen dort wissen am besten über die Besonderheiten der Viertel Bescheid und können am besten Vorschläge entwickeln, wie wir unsere politische Arbeit weiter verbessern können.

Köln und NRW im Vergleich

DIE LINKE hat, so heißt es landauf, landab, ihr Ergebnis bei der Landtagswahl in NRW fast verdoppelt. Klingt gut, aber woran messen wir uns da? An dem Ergebnis der Landtagswahl 2012, also an der katastrophalen Abstrafung durch den Wähler nach zwei Jahren Politik im NRW-Landtag.

Ich halte es dagegen für sinnvoll unser aktuelles Ergebnis an dem von 2010 zu messen, dem Jahr, in dem wir mit 6,53 % zum bisher einzigen Mal in den Landtag eingezogen sind. 6,53 %, das waren damals 435.627 Zweitstimmen. Die hat die LINKE 2017 nicht wieder erreichen können, sondern nur 415.808. Den Vertrauensvorschuss, den wir vor sieben Jahren bekommen haben, konnten wir also noch nicht zurück gewinnen. Hätte DIE LINKE ihr Zweitstimmenergebnis von 2010 wiederholen können, säße sie mit 5,1 % im Landtag.

In Köln haben wir eine andere Entwicklung als im Land. In Köln bekamen wir vor sieben Jahren 27.198 Zweitstimmen und jetzt 39.511. Das erklärt als erstes, warum viele linke Wahlkämpfer*innen in Köln ein gutes Gefühl hatten und dann am Wahlabend schrecklich enttäuscht wurden. Die Zahl der Stimmen reichte immerhin für ein Ergebnis von 8,4 %.

Gegenüber dem Jahr 2010 ist die Zahl der Zweitstimmen um 45,3 % gestiegen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens gehört Köln zu den wachsenden Metropolen. 2010 gab es in Köln 705.339 Wahlberechtigte. 2017 betrug ihre Zahl dagegen 729.829. Das ist eine Steigerung um 3,4 %. Zweitens ist die Wahlbeteiligung gestiegen. 2010 gab es nur 421.087 Wähler*innen bei einer Wahlbeteiligung von 59,7 %. In diesem Jahr gab es 473.847 Wähler*innen, was einer Beteiligung von 64,93 % entspricht. Unterstellt, DIE LINKE zusätzlichen Wahlberechtigten und bei den jetzt wählenden früheren Nichtwählern des gleichen Zuspruch wie bei denen, die bereits 2010 gewählt haben, verbleibt ein positiver Saldo von 8.905 Stimmen oder 29,1 %. Der dritte Faktor, der zu diesem Wahlergebnis geführt hat, ist also die gegenüber 2010 in der Stadt erheblich gewachsene Zustimmung zu unseren Positionen.

LINKE Hochburgen

Wer sind unsere neuen Wähler und was bewegt sie? Schauen wir zunächst einmal, in welchen Stadtteilen wir (prozentual) die besten Ergebnisse erzielt haben. In 15 Kölner Stadtteilen schnitt DIE LINKE zweistellig ab. Es sind dies:

Landtagswahl 2017, nach der Wahl ist vor der Wahl

Die Liste zeigt uns eine bunte Mischung aus Stadtteilen, die in sind und Stadtteilen, in denen große Teile der Bevölkerung auf Transferleistungen angewiesen sind.

Besonders ragt Kalk heraus, Bestandteil eines der elf Sozialräume in der Stadt. Im Stadtteil Kalk haben wir bereits 2010 mit 627 Zweitstimmen oder 13,37 % ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Kalk ist ein wachsender Stadtteil. Von 2010 bis 2015 wuchs die Einwohnerzahl um 2.047 oder 9,5 %. Jüngere Zahlen liegen noch nicht vor. In diesem Jahr beträgt die Zahl der Wahlberechtigten 12.128. Davon gingen 6.026 oder 49,69 % wählen, die Wahlbeteiligung war also deutlich niedriger als im Durchschnitt. Aber DIE LINKE erhielt 1.006 Stimmen, was 16,84 % entspricht und bedeutet, dass DIE LINKE im Stadtteil die zweitstärkste Partei ist, noch vor CDU und Grünen. Das Ergebnis legt nahe, dass wir nach schon guten Ergebnissen in der Vergangenheit, bei den neu Zugezogenen wohl noch größeren Zuspruch haben.

Auch Ehrenfeld ist ein wachsender Stadtteil, die Bevölkerungsstruktur ist aber von der Kalker völlig verschieden. Gegenüber 2010 gab es in diesem Jahr etwa 4.000 Wähler mehr, ein Teil davon ist der höheren Wahlbeteiligung geschuldet, der Rest dem Bevölkerungswachstum. DIE LINKE hatte 2010 in diesem Stadtteil 1.279 Wähler*innen gewonnen, was einem Stimmenanteil von 8,86 % entsprach. Jetzt haben 2.851 Menschen ihre Stimme für uns abgegeben – 15,67 %.

Wir sehen hier also eine hohe Steigerung der Zustimmungsrate – in einem völlig anderen Stadtteil. Die Wahlbeteiligung liegt mit 68,71 % über dem Durchschnitt und das Wahlergebnis weist keinerlei Ähnlichkeit mit dem Gesamtergebnis auf: SPD 27,54 %, Grüne 19,99 %, CDU 16,23 %, LINKE 15,67 %, FDP 9,90 % und AfD 3,35 %.

Schauen wir nach Chorweiler, einem Stadtteil, dessen Bevölkerungszahl leicht rückläufig ist. In Chorweiler Mitte leben 49 % der Einwohner*innen von SGB II, bei den Kindern sind es 64,8 %. 37 % der Menschen sind auf Grundsicherung nach dem SGB XII angewiesen. 79 % aller Menschen hier haben einen Migrationshintergrund. In Chorweiler Nord liegt die SGB II-Quote bei 34,3 %, bei den Kinder beträgt sie 49,4 %. 30,4 % der Menschen beziehen Leistungen nach dem SGB XII.

Der Stadtteil ist geprägt einerseits durch seine Hochhäuser, andererseits durch einen Mangel an Räumen, in denen man sich zu gemeinsamen Tun treffen kann. Wie prägend dieser Mangel ist, zeigt sich jedes mal, wenn auch nur die kleinste Aktion auf den Plätzen angeboten wird, denn dann streben die Menschen zusammen, allen voran die Kinder. Die Wahlbeteiligung ist traditionell niedrig, 2017 liegt sie mit 31,91 % nicht einmal bei der Hälfte des städtischen Durchschnitts. Unser Ergebnis stagniert mit 12,51 % nach 12,92 % im Jahr 2010.

Es gibt keinen eindeutigen Zusammenhang zwischen hohen Stimmanteilen für DIE LINKE und dem Abschneiden der AfD. Von den 15 Stadtteilen in denen wir am besten abgeschnitten haben, sehen 8 ein AfD-Ergebnis über deren städtischem Durchschnitt, 7 liegen darunter. Signifikant ist dagegen, welche Stadtteile die hohen Werte aufweisen: Chorweiler, Höhenberg, Humboldt-Gremberg, Buchforst, Bickendorf, Mauenheim, Kalk und Mülheim – in dieser Rangfolge.

Besonders erschreckend ist das Abschneiden der AfD in Chorweiler. Sie gewann 13,72 % der Zweitstimmen. Köln-Chorweiler war lange Zeit eine Hochburg von Por Köln. Die sind jetzt gar nicht mehr angetreten. Zumindest hier sammelt sich alles, was rechtsradikal ist, in der AfD, denn im Gegensatz zu anderen Stadtteilen hat die NPD hier nur 6 Stimmen geholt, die Republikaner 1 und Die Rechte gar keine.

Die Ergebnisse in den Sozialräumen

Eine zweite Herangehensweise ist, die Stadtteile zu betrachten, die in den elf Sozialräumen liegen. Dabei müssen wir allerdings einige Ungenauigkeiten in Kauf nehmen. Nicht Seeberg gehört zum Sozialraum, sondern nur Seeberg Nord. Ebenso verhält es sich in Mülheim, da besteht der Sozialraum aus Mülheim Nord und dem Gebiet der Keupstraße.

Landtagswahl 2017, nach der Wahl ist vor der Wahl

Erneut haben wir ein sehr uneinheitliches Bild: Stadtteile, in denen wir unsere Verankerung stärken konnten, wie Bickendorf, Ossendorf, Bilderstöckchen, Buchheim, Höhenberg, Humboldt-Gremberg, Kalk, Mülheim stehen neben Stadtteilen der Stagnation. Mancherorts gibt es auch heftige Einbußen. Besonders auffällig die unterschiedliche Entwicklung bei den Nachbarn in Höhenberg und Vingst. Vor sieben Jahren gab es zufällig die gleiche Stimmenzahl, nun klafft eine Differenz von etwa 130 Stimmen.

Trotz aller Unterschiede zeigen die Ergebnisse in den Sozialräumen aber klar, dass hier auch in Zukunft ein Schwerpunkt unserer Arbeit liegen muss. Ich halte es für wünschenswert, dass wir z.B. die Arbeit von LEO und unsere Sozialberatung noch ausweiten. Selbstverständlich dürfen wir darüber nicht die linken Milieus in den anderen Vierteln vernachlässigen, aber das ist ja wohl mehr oder weniger Allgemeingut.

Zum Schluss

Einige allgemeine Anregungen möchte ich doch noch ans Ende setzen.

  • Ich halte es für sinnvoll, dass wir unsere Wählerinnen und Wähler einladen, das Ergebnis gemeinsam mit uns zu diskutieren. Über die Form einer solchen Diskussion bin ich mir allerdings nicht im klaren. Sicher ist nur, das darf keine Mitgliederversammlung oder eine Veranstaltung mit Referat sein, wie wir sie häufig führen. Wäre ein Sommer-Stammtisch eine Idee, oder ein Sommerfest? Wie kann man die so genannten sozialen Medien für so eine Debatte einsetzen?
  • Wir haben in den letzten Monaten viele neue junge Genossinnen und Genossen gewonnen. Mein Eindruck ist allerdings, dass die sich in unserem alltäglichen Parteibetrieb entweder nicht zurecht finden oder nicht wohl fühlen. Deshalb müssen wir sie ganz schnell fragen, was sie sich wünschen und das auch, fast genau so schnell, umsetzen.
  • Klar ist es im Wahlkampf wichtig, dass wir unsere Zeitungen, Programme etc. unter das Volk bringen. Wir sollten dabei aber durchaus auch den Spaßfaktor für die Menschen erhöhen. Zum Beispiel war das Rote Fest in Chorweiler ein voller Erfolg. Wir können dabei aber effektiver werden, wenn sich alle, die so etwas planen, austauschen.
  • Wir brauchen für die Bundestagswahl dringend jemand, der sich um Linksaktiv kümmert, damit Interessenten, die sich darüber melden, nicht ins Leere laufen. Hierfür muss innerhalb des KV ganz intensiv geworben werden.

Mai 2017

Klaus Roth