Bericht zur Veranstaltung über die Grundrententheorie

Am 19.09. führte die AG “Innerparteiliche Schulung und Bildung” im Wahlkreisbüro von Matthias W. Birkwald eine mit 17 Teilnehmenden gut besuchte Veranstaltung zur marxistischen Grundrententheorie durch. Es referierte zum Thema Hans Günter Bell, Sprecher der Kölner LINKEN, der seinen sehr spannenden und anschaulichen Vortrag hier zum Download zur Verfügung stellt.

Bericht zur Veranstaltung über die Grundrententheorie

© Dirk Schumacher

Ins Zentrum seines Vortrages stellte Hans Günter die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Bodenpreis und Grundrente (= Mieteinnahmen) und stellte dafür folgende These vor:

“Nicht der Bodenpreis bestimmt die Grundrente, sondern, umgekehrt, die Grundrente den Bodenpreis.” (Brede, Helmut / Dietrich, Barbara / Kohaupt, Bernhard: Politische Ökonomie des Bodens und Bodenfrage, FaM 1976, S. 49)

Anders formuliert: Hohe Mieten sind nicht so sehr Folge hoher Grundstückspreise, sondern eher ihre Ursache. Warum aber sind die Mieten so hoch und treiben auf diese Weise die Bodenpreise in die Höhe? Der Grund für hohe Mieten besteht darin, dass baureife Grundstücke nicht beliebig vermehrbar oder herstellbar sind, was bei anziehender Nachfrage nach Wohnraum den Eigentümern von Grund und Boden eine Art Monopolstellung mit der Folge hoher erzielbarer Mieten zukommen lässt:

“Das Grundeigentum setzt das Monopol gewisser Personen voraus, über bestimmte Portionen des Erdkörpers als ausschließliche Sphären ihres Privatwillens mit Ausschluß aller andern zu verfügen. (…) Wenn wir von Monopolpreis sprechen, so meinen wir überhaupt einen Preis, der nur durch die Kauflust und Zahlungsfähigkeit der Käufer bestimmt ist, unabhängig von dem durch den allgemeinen Produktionspreis wie von dem durch den Wert der Produkte bestimmten Preis. (Marx, Karl: Das Kapital. Dritter Band, in: MEW 25, S. 626 und S. 783)

Hans Günter erläuterte daraufhin, warum eine hohe Miete den Grundstückspreis nach oben treibt. Kaufinteressenten kalkulieren ihre erwartete künftige Jahresmiete. Um diese auf den heutigen Tag zu bewerten, muss sie durch den Zinssatz dividiert werden. Bei niedrigem Zinssatz folgt aus einer gegebenen Miete ein hoher Grundstückspreis. Hans Günter verdeutlichte dies an folgendem Beispiel:

Von einer Wohnung erwarte ein Kaufinteressent eine (ewige) Miete von 3.000 Euro im Jahr. 1994 zahlte ein solcher beim Zinssatz von 8% p.a. für den Erwerb der Wohnung 3.000 Euro / 8% = 37.500 Euro, denn sein Kapital von 37.500 Euro warf ihm dann die jährliche Grundrente von 37.500 Euro * 8% = 3.000 Euro ab. Beim heutigen Zinssatz von nur 0,8% p.a. bezahlt ein Interessent jedoch für den Erwerb 3.000 Euro / 0,8% = 375.000 Euro, also den zehnfachen Preis. Dann nämlich wirft ihm sein Kapital von 375.000 Euro wieder die jährliche Grundrente von 375.000 Euro * 0,8% = 3.000 Euro ab.

Kurzum: Eine hohe Nachfrage nach Wohnraum treibt zuerst bei monopolisiertem privatem Wohneigentum die Mieten nach oben. Hohe Mieten führen sodann bei niedrigen Zinssätzen zu hohen Grundstückspreisen. In der Folge können hohe Grundstückspreise zu neuen höheren Angebotsmieten führen, das ist aber nicht zwingend.

Hiernach ging Hans Günter einerseits auf das Thema der Differentialrente ein. Ein Grundstück, das sich in ertragreicher Lage – man denke an gut laufende Innenstadtmeilen – befindet oder besonders intensiv bewirtschaftet wird, kann höhere Mieten und somit eine höhere Grundrente, eine sogenannte Differentialrente, abwerfen. Monopolcharakter, Lage und Kapitalintensität ergänzen sich dann.

Andererseits schilderte Hans Günter einen Formwandel der Klassenpositionen. In früheren Jahren waren Grundeigentümer und industrielle Kapitalanleger stärker abgrenzbar. So konnte es sein, dass Grundeigentümer hohe Grundrenten verlangten, die den industriellen Profit schmälerten und somit einen Interessengegensatz zwischen Grundeigentümern und industriellen Anlegern begründeten. Heutzutage werden jedoch im Zuge der Durchkapitalisierung des Grundeigentums industriell agierende Kapitalanleger selber auf dem Grundstücksmarkt aktiv und zu Grundeigentümern.

In der anschließenden Diskussion waren sich alle Teilnehmenden darin einig, dass dem öffentlichen Wohnungsbau eine eminent wichtige Rolle zukommt, da auf diese Weise nicht nur mehr gebaut werden kann, sondern dies auch sozial reguliert und erschwinglich. Knapper Wohnraum sollte daher bevorzugt der öffentlichen Hand zukommen. Mögliche Akteure wären kommunale oder Landeswohnungsgesellschaften bzw. Genossenschaften und sozial engagierte private Bauherrn, die sich den Vorgaben einer neuen Wohnungsgemeinnützgkeit unterordnen.

Kontrovers war die Debatte um die Wirkung eines ausgedehnten privaten Wohnungsbaus ohne soziale Bindung. Wird bei hoher ungedeckter Nachfrage nach Wohnraum durch renditeorientierte private Bauträger neuer Wohnraum geschaffen, geschieht dies zu hohen Angebotsmieten, die über dem aktuellen Mietniveau liegen. Aber wird nicht auch Wohnraum durch jene Mieter frei, die in den teuren Wohnraum ziehen? Ja, aber durch den Wegzug kann der Vermieter des frei gewordenen Wohnraums seine Miete bei Neuvermietung deutlich stärker erhöhen, als dies bei Bestandsmieten mietrechtlich möglich wäre. Sowohl die hohen Mieten im Neubau als auch die erhöhten Mieten im bestehenden Wohnbau würden also das Mietniveau anheben, so dass privater Neubau problematisch wirken könnte.

Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass diese Argumentation nur bei hoher ungedeckter Nachfrage zutrifft. Wird jedoch der Wohnungsbau enorm ausgedehnt, könnten wegen des höheren Wohnraumangebots die Angebotsmieten im Neubau weniger stark steigen. Zudem könnten bei hohem Wohnungsangebot auch die Vermieter der Bestandsbauten nicht mehr einfach ihre Mieten bei Auszug nach oben schrauben. Kurzum: Es kommt auf die Dimension des Neubaus an. Kein Zweifel kann jedoch daran bestehen, dass öffentlicher Wohnungsneubau sowie soziale Regulierungen wie Mietpreisdeckelungen, Mieterschutzrechte und Konzeptvergaben nötig sind.

Wegen Zeitmangels hielt Hans Günter seine Ausführungen zur Gentrifizierung an diesem sehr gelungenen Abend nicht, aber es besteht die Gelegenheit, dies später nachzuholen.