Neues vom Brüsseler Platz
Bevor nun die warmen Abende kommen diskutiert Köln über die Zunahme von geselligkeitsbedingen Lärmemissionen und Lautstärkepegel, Nachtruhe und Anwohnerschutz, Alkoholkonsum- oder gar Alkoholverkaufsverbot. Am Beispiel des Brüsseler Platzes in der Kölner Innenstadt fasst Bezirksvertreter Michael Scheffer die Diskussionen der vergangenen Wochen zusammen, die demnächst auch andere urbane Zentren betreffen dürfte.
“Evident unzureichend.” Auf diese kurze Formel lassen sich die Maßnahmen der Stadt Köln zur Beruhigung der Situation am Brüsseler zusammenfassen. Zumindest in der Lesart des Oberverwaltungsgerichts Münster, das im September 2023 fünf Anwohnern recht gegeben hat, die auf Einhaltung der Nachtruhe geklagt hatten. Eine Beschwerde der Stadt gegen das Urteil wurde abgewiesen, die Revision ist nicht zulässig, somit besteht Handlungsbedarf. „Wir sagen Ihnen nicht, was Sie zu tun haben. Aber wir sagen Ihnen, dass sie etwas zu tun haben“ hieß es in der semi-salomonischen Urteilsbegründung des OVG. Richten soll es nun ein Verweilverbot, dass die Stadt per Allgemeinverfügung kurzfristig erlassen wird. Dieses Instrument, welches während der Corona-Pandemie bereits erfolgreich zur Anwendung gebracht wurde, unterbindet quasi jedweden Aufenthalt zwischen 22 und 6 Uhr. Eine drastische Maßnahme, die nun den Mitgliedern der BV Innenstadt sowie den Anwohner*innen im Rahmen einer Informationsveranstaltung am 28. Januar 2025 vorgestellt wurde. Zweifellos keine einfache Aufgabe, der sich der neue Leiter des Ordnungsamtes in der prall gefüllten Kirche St. Michael zu stellen hatte.
Gesundheitschutz und Freizügigkeit
Ralf Mayer legte die Messlatte gleich in seiner Eingangserklärung erstmal nach ganz oben, indem er die Grundrechtsabwägung erläuterte, in welcher höchstrichterlich entschieden wurde: Der Schutz der Gesundheit durch Gewährleistung der Nachtruhe geht anderen Interessen und Rechtsgütern (Freizügigkeit und Berufsausübung der Außengastronomie vor). Anschließend legte er aktuelle Schallmessungen (Dezember 2024) vor und verwies auf die bald zwanzigjährige Geschichte des Konflikts. Tatsächlich geht die Anziehungskraft des Brüsseler Platzes auf den Weltjugendtag 2005 zurück, als anlässlich des Papstbesuches nächtelang beglückte Jugendliche dieses Kleinod für sich entdeckten („Benedetto…“). Auch wenn Köln-Tourismus inzwischen keine Reiseempfehlung für diesen Veedelsplatz mehr ausspricht, erfreut er sich doch insbesondere an wärmeren Abenden nach wie vor großer überregionaler Beliebtheit. Die Crux ist, dass es sich dabei zum überwiegenden Teil um entspannte, zivilisierte und nicht unsympathische Besucher*innen handelt, die i.d.R. nicht auf Krawalll gebürstet sind und einfach keine Böcke haben, sich im Zülpicher Viertel oder gar auf den Ringen zu treffen. Das wurde auch in zahlreichen Diskussionsbeiträgen deutlich, wo insbesondere Anwohnende darauf verwiesen, dass diese Leute Räume brauchen (öffentlich und unkommerziell) und Teil eines sich wandelnden urbanen Freizeitverhaltens seien. Irgendwo müssen sie hin und der Vorschlag des Diakons, die Kirche St. Michael – immerhin die drittgrößte in Köln – sehr gerne für diese zu öffnen, wird noch zu diskutieren sein.
Streit seit zwanzig Jahren
In der überaus hitzig geführten Debatte wurde zunehmend deutlich, dass ein Verweilverbot nebst Umsetzung eigentlich nicht gewünscht sind und die Komplettsperrung, die das OVG als Ultima Ratio vorgeschlagen hat, schon mal gar nicht. Das Ordnungsamt verwies auf die zahlreichen Bemühungen der Vergangenheit, die stets fruchtlos geblieben sind (Räumungen, Planungsworkshops, Bürgerversammlungen). Ich selber kann mich daran erinnern, wie vor vielen Jahren mal die Lichter ausgeknipst wurden, um die Aufenthaltsqualität einzuschränken. Aber natürlich hatten die jungen Leute damals schon LED und Taschenlampen. Als man dann umgekehrt mit riesigen Scheinwerfern Ungemütlichkeit erzeugte, wurden die Sonnenbrillen gezückt. Als die Straßenreinigung der AWB um Null Uhr feuchten Kehraus machte, wurden die Gummistiefel übergestülpt. Letztlich war auch die gezielte Ansprache niemals richtig erfolgreich. Apropos Sprache: Nicht der einzelne Besucher ist das Problem, sondern die Potenzierung der Unterhaltungen mehrerer Menschen, welche die ordnungsrechtliche und schallimmissionsrelevante Störung ausmacht: Erst in der Summe bilden die völlig legitimen Verhaltensweisen des Einzelnen eine Lärmbelästigung (>60 Db), die das ganze juristisch problematisch macht und den Ordnungsbehörden nun keinerlei Spielraum mehr lässt. Zwar kündigte das Amt weitere Kommunikation, Analyse und Bewertung sowie Platzumgestaltungen inklusive Öffentlichkeitsbeteiligung an, aber zunächst müsse nun Vollzug erfolgen. Wenig amused zeigten sich erwartungsgemäß die Außengastronomen, die demnächst bereits um 22 Uhr schließen sollen. Diese haben bislang verlässlich mit den Behörden kooperiert, waren verlässlicher Teil der Strategien der letzten Jahre. Insofern ist es nur recht, dass die Stadt hier umfangreiche Kompensationen und Kulanzregelungen in Aussicht stellt. Vor dem Hintergrund der Präzedenzwirkung wird das ganze Verfahren zu beobachten und zu evaluieren sein, auch werden entsprechende politische Anträge im kommenden Kommunalwahlkampf wohl nicht ausbleiben. Käme man hier zu einer verträglichen Lösung, hätte das bundesweite Ausstrahlungskraft.