Stellungnahme zum G20-Gipfel in Hamburg

Amnesty International erkennt die Herausforderung an, vor der die Polizei und die Stadt Hamburg in den Tagen des G20-Gipfeltreffens stand: die Teilnehmer*innen und Veranstaltungen der G20 zu schützen und gleichzeitig friedlichen Protest zu ermöglichen, war eine höchst anspruchsvolle Aufgabe. Presse- und Augenzeugenberichte legen aber nahe, dass es auf Seiten der Polizei zu strafrechtlich relevantem Verhalten kam: insbesondere im Kontext der „Welcome to Hell“-Demonstration, aber auch in anderen Situationen sollen Polizist*innen unverhältnismäßige Gewalt gegen friedliche Demonstrierende sowie Medienvertreter*innen angewendet haben. Diesen Vorwürfen müssen Polizei und Staatsanwaltschaft nachgehen: wo nötig, müssen straf- und dienstrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden. Amnesty International befürchtet, dass Vorwürfen gegen Polizist*innen teilweise nicht nachgegangen werden kann, weil die Bundespolizei sowie zahlreiche Länderpolizeien keine individuelle Kennzeichnung tragen. Deshalb fordert Amnesty International die Bundesregierung sowie alle Landesregierungen, in denen die Polizei bisher noch nicht individuell gekennzeichnet ist, dazu auf, eine solche Kennzeichnung umgehend einzuführen. Der G20-Gipfel zeigt auch, wie sich das Fehlen unabhängiger Untersuchungsmechanismen für polizeiliches Fehlverhalten auswirkt. UN-Gremien wie der Menschenrechtsrat, die Humanistische Union, das Deutsche Institut für Menschenrechte und Amnesty International fordern seit Jahren, dass es in Deutschland Gremien außerhalb der Polizeibehörden geben muss, die Beschwerden entgegennehmen und strafrechtliches Fehlverhalten untersuchen können. Sowohl die individuelle Kennzeichnung von Polizist*innen als auch unabhängige Untersuchungsmechanismen ermöglichen eine rechtsstaatliche Kontrolle der Polizeiarbeit, bei der strafrechtlich relevantes Fehlverhalten Einzelner gezielt aufgeklärt werden kann, ohne eine ganze Institution zu diskreditieren. Grund- und Menschenrechte bilden das Fundament eines demokratischen Rechtsstaats, sie zu achten und zu schützen ist Kernaufgabe jeden staatlichen Handelns. Amnesty International hatte bereits im Vorfeld des Gipfels darauf hingewiesen, dass die Polizei die Versammlungsfreiheit der Demonstrierenden – auch in Sicht und Hörweite der Gipfel-Teilnehmer*innen – gewährleisten muss. Gemäß dem sogenannten Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts hat die Polizei das Versammlungsrecht demonstrationsfreundlich auslegen. Ob dies mit der Wahl der Einsatztaktik der Hamburger Polizeiführung und insbesondere des Gesamteinsatzleiters Herrn Hartmut Dudde gelungen ist, muss nun kritisch aufgearbeitet und analysiert werden. Dass der regierende Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) keine Polizeigewalt gesehen haben will und jegliche Kritik an der Polizeiarbeit als „Denunziation“ verunglimpft, ist aus Sicht von Amnesty International nicht nachzuvollziehen. In einem demokratischen Rechtsstaat muss Kritik an staatlichem Handeln nicht nur möglich sein, sondern sie ist sogar erwünscht und notwendig. Polizei und Politik als dessen Vertreter*innen sollten daher Kritik nicht pauschal abwehren, sondern sich konstruktiv damit auseinandersetzen und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen.