Glückwunsch: Sinn Fein ist stärkste Partei in Irland

Bei der jüngsten Parlamentswahl in der Republik Irland (hierzulandemanchmal als „Südirland“ bezeichnet) gab es einen Erdrutsch: Die Glückwunsch: Sinn Fein ist stärkste Partei in IrlandSchwesterpartei der LINKEN verbesserte sich von 13,8 % auf 24,5% der Stimmen und ist erstmals stärkste Partei bei den Wählern*.Glückwunsch! Federn gelassen haben die zur Zeit noch regierenden Liberalen (Fine Gael) und die Konservativen (Fianna Fail). Beide hatten sich in der gesamten Geschichte des Staates seit der Gründung 1922 in der Regierung abgewechselt. Völlig am Boden zerstört ist die Labour Party, die zu ihren besten Zeiten bei 10 % gelegen hatte.
ENTSTEHUNG
Sinn Fein (sprich Schinn Fäin) bedeutet „wir selbst“ und verdankt seine Entstehung dem Wunsch nach Selbstbestimmung der irischen Nation zu Beginn des 20.Jahrhunderts, als Irland de jure ein Teil Großbritanniens war (weswegen es Wahlen gab), aber de facto wie eine Kolonie behandelt wurde.Nachdem der größere Teil Irlands die Unabhängigkeit erkämpft hatte (Nordirland blieb ja britisch) zerbrach die Partei in zwei sich gewaltsam bekämpfende Teile und auch nach dem Ende des Bürgerkriegs (1923) gab es immer wieder Abspaltungen, sodass es nicht übertrieben ist zu sagen, dass praktisch alle relevanten Parteien der Republik, also auch Konservative und Liberale, ihren Ursprung in der Geschichte Sinn Feins haben. In der deutschen Linken, womit nicht nur unsere Partei gemeint ist, kann man die Bedeutung des Nationalismus für die irische Politik kaum verstehen. Aber Nationalismus ist etwas anderes in einem (ehemals?) imperialistischen Land wie Deutschland und in einem (ehemals?) unterdrückten Land wie Irland. Karl Marx wusste das.
NORDIRLAND
Die heutige Sinn Fein sind ebenfalls eine Abspaltung. 1970 gründete sich in Nordirland die „Provisorische Sinn Fein“ als politischer Arm der IRA. (Diesen Zusammenhang konnten sie natürlich nicht offiziell zugeben – aber es war offensichtlich.) Zu diesem Zeitpunkt war die eigentliche, „offizielle“ Sinn Fein zu einer Splittergruppe geworden. Als diese den Namen aufgab und zur „Workers Party“ wurde, entfiel für die anderen das Provisorische. Ihre Basis hatten sie bislang unzweifelhaft in der katholischen Bevölkerung des Nordens, aber die Partei hatte von Anfang an versucht, auch im Süden Fuß zu fassen, da sie sich ja als gesamtirische Partei versteht. Ihr wohl bekanntester Politiker war Gerry Adams, der 1998 das berühmte „Karfreitagsabkommen“ mit aushandelte, das den Bürgerkrieg beendete. Schon in den 15 Jahren zuvor hatte sich Sinn Fein von einer rein nationalistischen Partei schrittweise in eine linkssozialdemokratische Partei (demokratischer Sozialismus) verwandelt und zunehmend soziale Forderungen erhoben. Im Norden erreichte Sinn Fein schon länger um die 25 % der Stimmen. Nun ist das auch im „Süden“ passiert.
DIE ROLLE DER EU
Ich habe Irland im Jahr 1973 erstmals bereist, dem Jahr als Irland und Großbritannien in die EU eintraten. Es war ein armes Land. Die EU hat die Republik zum „Celtic Tiger“ gemacht. 1988 war ich zum ersten Mal in Derry und in Belfast. Eine Stadt im Belagerungszustand. Gewalt lag in der Luft. Die Grenze zum Süden war eine Festung. In einem gemeinsamen Europa war das ein Anachronismus und tatsächlich haben die Konfliktparteien das dann ja eingesehen. 2011 war ich wieder in Derry. Ein anderes Land! Keine Grenze zu sehen. Die Stadt voller junger Leute. Unvorstellbar, dass die Generation, die seither herangewachsen ist, wieder eine Grenze zulässt. Jeder in Irland sieht das so.
BREXIT
Der Brexit hat alles wieder hochgespült. Das EU-GB-Abkommen hat die Lösung des irischen Problems in die Zukunft verschoben. Nun „liegt sie wieder auf dem Tisch“ die Frage eines vereinigten Irlands, so sagt Sinn Fein nach dem Wahlerfolg. Es zahlt sich nun aus, dass sie neben einer seit Jahrzehnten konsequent linken Politik (gegen Wohnungsnot, gegen Rente mit 67) immer die irische Wiedervereinigung im Fokus hatten. Tatsächlich wäre das eine Lösung des Brexit-Problems. Im Karfreitagsabkommen war ein Volksentscheid in Nordirland für möglich erklärt worden. Zum Bürgerkrieg zurück wollen nur Verrückte.
Jürgen Seitz