Irmgard Keun und die Trajanstraße

Mieterprotest in der Südstadt

Mieterprotest in der Südstadt (Bild: Berthold Bronisz)

Trotz Schneesturm und widrigen Umständen demonstrierten gut fünfzig Menschen am 6. Februar 2018 gegen die Verdrängung der Mieter*innen der Trajanstraße 10. Diese wurden von ihrem Vermieter – der Wohnungsgesellschaft „Haus Baden“ – mit der kaltschnäuzigen Bergründung gekündigt, dass sie einer „angemessenen wirtschaftlichen Verwertung“ im Wege seien. Die Initiative „Recht auf Stadt Köln“ hatte zu den Protesten augerufen, weitere sollen folgen. Bezirksvertreter Michael Scheffer erinnerte in seinem Redebeitrag an die Schriftstellerin Irmgard Keun, die in eben diesem Haus wohnte und an genau diesem Tag Geburtstag gehabt hätte. Hier sein ehrendes Anerkenntnis im Wortlaut:

Geboren 1905 in Berlin zog die Kaufmannstochter Irmgard Keun bereits 1913 nach Köln, wo sie zunächst in Braunsfeld aufwuchs. Nach einer Schauspielausbildung in der Weimarer Republik wurde sie Anfang der dreißiger Jahre eine der wenigen erfolgreichen Schriftstellerinnen, schrieb mit dem Roman “Das kunstseidene Mädchen” sogar einen Welterfolg. Ein für die damalige Zeit herausragend freches und emanzipiertes Buch, das auch in der Fachwelt Anerkennung fand.

Nach 1933 wurden ihre Werke beschlagnahmt und verboten. Wie so viele ging Irmgard Keun ins Exil – zunächst nach Belgien, später in die Niederlande, von wo aus sie freundschaftliche Kontakte zu Stefan Zweig, Ernst Toller oder Heinrich Mann unterhielt. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht in die Niederlande kehrte sie nach Deutschland zurück und versteckte sich bis Kriegsende in ihrem Elternhaus in Köln. Nach dem Krieg arbeitete sie als Journalistin und schrieb kleinere Texte für Hörfunk, Kabarett und Feuilletons, konnte jedoch literarisch nicht wieder Fuß fassen und lebte zeitweise in ärmlichsten Verhältnissen. Da half auch ihre Freundschaft zu Heinrich Böll nicht weiter. Erst Ende der 70 Jahre wurde sie nach langen Jahren des Vergessens wiederentdeckt – insbesondere von der feministischen Literaturkritik. Ab 1977 lebte Irmgard Keun in dem Haus Trajanstraße, bis sie 1982 verstarb. Sie liegt auf Melaten begraben.

Zu ihrem 100. Geburtstag hieß es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Was die Keun aus der schon nicht mehr ganz Neuen Sachlichkeit machte, das war eine artistische Popliteratur: eine rasante Melange aus Schlager und Schreibmaschine, aus innerem Monolog, zarten Lyrismen und genau gehörter Umgangssprache, aus Werbeplakaten und Revuenummern.“

Aber Irmgard Keun konnte auch anders: 1937 erschien ihr Roman “Nach Mitternacht”, in welchem sie die soziale Wirklichkeit im düstersten Deutschland beschreibt. Dieses literarische Dokument einer finsteren Zeit ist bis heute lesbar und empfehlenswert, gerade auch weil die Keun-Texte mit ihrem eigenständigen satirischen Sprachduktus immer noch lebendig und frisch wirken.

Ich möchte meine Würdigung für Irmgard Keun mit einigen Worten aus ihrem Roman “Nach Mitternacht” beschließen. Irmgard Keun, die heute vor 113 Jahren geboren wurde und in der Trajanstraße  alt werden durfte:

“Natürlich ist mein Leben hier eine Hölle, aber was soll ich denn draußen? Ohne Geld, ohne Möglichkeit, Geld zu verdienen. Ohne Glaube an Gott, ohne Glaube an die Menschen, ohne Glaube an Kommunismus und Sozialismus, ohne Glaube an Änderung und Besserung in den nächsten Jahrzehnten. Ich habe die Menschen geliebt, länger als ein Jahrzehnt habe ich mir die Finger wund geschrieben und den Kopf leergedacht, um sie vor dem Wahnsinn der heranbrechenden Barbarei zu warnen. Eine Maus, die durch Piepsen eine Lawine aufhalten will. Die Lawine ist gekommen, die Maus hat ausgepiepst […] Armer Emigrant. Glatt und hart wie eine Kastanie wird jedes Land für dich sein. Dir selbst wirst du zur Qual werden und anderen Menschen zur Last. Die Dächer, die du siehst, sind nicht für dich gebaut. Das Brot, das du riechst, ist nicht für dich gebacken. Und die Sprache, die du hörst, wird nicht für dich gesprochen.”

Michael Scheffer

Zurück