Auf der Kundgebung des Kölner Bündnisses #stopwatchingus am 27.07.2013 hielt der stellvertretende Kreissprecher der LINKEN Köln, Heiner Kockerbeck, diesen Redebeitrag.

Auf der Kundgebung des Kölner Bündnisses #stopwatchingus am 27.07.2013 hielt der stellvertretende Kreissprecher der LINKEN Köln, Heiner Kockerbeck, diesen Redebeitrag.

Heiner Kockerbeck, stellv. Kreissprecher DIE LINKE. Köln

Liebe Freundinnen und Freunde des Datenschutzes,

Liebe Gegnerinnen und Gegner einer Überwachung von Bürgern durch staatliche Geheimdienste und Privatfirmen, ganz gleich in welchem Land, ganz gleich welcher politischen Couleur die Regierung ist,

dank Edward Snowden herrscht nun Gewissheit: Wir leben tatsächlich in einer Überwachungswelt. Regierungen, Geheimdienstler und die großen Unternehmen in aller Welt gehen davon aus, dass es wichtig ist, alles von allen zu wissen und schnüffeln deshalb seit Jahrzehnten, was das Zeug hält und was die Technik hergibt.

Vieles von dem, was nun nach und nach ans Licht kommt, war im Prinzip bekannt. Spätestens seit dem Echolon-Skandal, der in den neunziger Jahren die kritische Öffentlichkeit und das EU-Parlament beschäftigt hat, muss davon ausgegangen werden, das die NSA und die US-Sicherheitsbehörden weltweit alle irgendwie technisch erreichbaren Daten erfassen, weitergeben und analysieren und dabei auch mit der Wirtschaft kooperieren. Die gebetsmühlenartig wiederholten Aussagen, wonach die Überwachung mit dem 11. September zusammenhängt, kann also in diesem Zusammenhang getrost begraben und vergessen werden.

Das Treiben deutscher und ausländischer Geheimdienste verläuft seit Jahrzehnten unkontrollierbar. Der renommierte Freiburger Historiker Josef Foschepoth hat im vergangen Jahr ein solide recherchiertes Buch veröffentlicht: Es heißt “Überwachtes Deutschland. Post- und Telefon-Überwachung in der alten Bundesrepublik”. Er hat erstmals zugängliche Akten der Bundesrepublik aus der Zeit seit der Staatsgründung 1949 ausgewertet. Sein Buch führt uns zurück in die Zeiten des Kalten Krieges.

Seit längerem wissen wir ja bereits, dass die Staaten im Einflussbereich der Sowjetunion, auch die DDR, bis 1989 systematisch von Geheimdiensten überwacht wurden. Die Überwachung dort war offener, direkter und sie war verbunden mit Polizei und Gerichten, die nicht rechtsstaatlich organisiert waren. Nie wieder darf es zu solchen autoritären Regimes kommen – ob sie sich nun „rechts“, „links“ oder der „Mitte“ dienend nennen.

Nun hat der Historiker Foschepoth aber nachgewiesen, was bei uns bisher nicht zum Allgemeinwissen gehörte: Auch die Staaten der USA und Westeuropas besaßen ihre Überwachungsstaaten. Briefpost und Telefonkommunikation wurden in der Bundesrepublk seit 1949 millionenfach zuerst von den Geheimdiensten der USA und Englands, später, seit dem G-10-Gesetz von 1968, vom BND und Verfassungsschutz überwacht. Wurde diese Überwachung 1949 noch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Deutschen begründet, liefert bald darauf der Kalte Krieg die Rechtfertigung dafür. Geheimverträge zwischen Bundesregierung und den genannten Staaten regelten das Agieren der NSA in Deutschland und die enge Zusammenarbeit der deutschen und des amerikanischen Geheimdienstes. Alle hohen Regierungspolitiker der regierenden Parteien waren eingeweiht.

Es kann sein, dass der Bundesregierung das Ausmaß der amerikanischen Spionage gegen sie selbst und gegen europäische Einrichtungen nicht bekannt war. Das Ausspionieren der Bevölkerung war ihr jedoch bekannt und allen Führungen der vergangenen Regierungen. Deshalb ist der bisherige Umgang mit Snowdons Enthüllungen inakzeptabel. Denn die Enthüllung des mutigen Amerikaners werfen die Frage auf: Inwieweit ist eigentlich das Post-, Brief- und Fernmeldegeheimnis im Grundgesetz der Bundesrepublik von Anfang an außer Kraft gesetzt gewesen? Nach allem was wir jetzt schon sagen können: Die Verfassung der Bundesrepublik ist in dieser Hinsicht nie in die Praxis umgesetzt worden. Wir müssen uns dafür mit allen Kräften einsetzen, dass die Verfassung endlich in diesem Punkt verwirklicht wird.

Deshalb protestieren heute in vielen Städten Deutschlands hoffentlich sehr viele Menschen dafür, dass Internet, Handy und Twitter frei von Überwachung genutzt werden können, dass das Bürgerrecht auf Vertraulichkeit der Kommunikation und auf informationelle Selbstbestimmung geachtet wird.

Denn die Durchleuchtung und Überwachung der Gesellschaft hat politisch höchst schädliche Folgen: Ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins ist Gift für eine demokratische Gesellschaft. Sie hemmt innovative Gedanken, die freie Äußerung unangepasster Meinungen. Genau das brauchen wir aber zur Bewältigung unserer großen sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Probleme!

Diese Demonstrationen heute sollten nur ein Anfang sein. Wir sollten in den nächsten Monaten mit langem Atem immer mehr werden und eine öffentliche Diskussion darüber in Gang bringen, welche Dinge nun getan werden müssen. Wir brauchen eine große Datenschutz- und Bürgerrechtsbewegung gegen Überwachung in der Bundesrepublik!

Welche Forderungen sollten wir also an den Deutschen Bundestag stellen?

•  Fordern wir als erstes einen Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Offenlegung und Beendigung aller Überwachungsmaßnahmen bei der Briefpost, dem Telefonverkehr und im Internet.

•  Die Bundesregierung muss vor diesem Untersuchungsauschuss alle Kooperationen zwischen deutschen und anderen Geheimdiensten offenlegen, die gegenwärtigen und die der Vergangenheit. Alle Geheimverträge müssen veröffentlicht und, soweit sie gegen das Grundgesetz verstoßen, sofort beendet werden.

•  Fordern wir eine Verzicht auf die verdachtsunabhängige Speicherung von Kommunikationsdaten, auf die sog. Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und der EU.

•  Was machen wir mit den Geheimdiensten?

‣Die Geheimdienste agieren auch in Deutschland weitgehend unkontrolliert. Viele Mitglieder des Bundestages haben bisher auch schon viel vermutet, aber nichts genau gewusst. Die öffentliche Kontrolle der Geheimdienste muss also mindestens immens verstärkt und jede grundgesetzwidrige Überwachung unterbunden werden.

‣Brauchen wir eigentlich Geheimdienste, wenn es zwar zahllose neonazistische V-Männer im Umfeld der Terrorgruppe NSU gegeben hat, deren Treiben aber nicht gestoppt wurde? Wenn die V-Männer sich rühmen, mit den größeren Summen, die der Verfassungsschutz ihnen zahlte, Nazi-Aktivitäten finanziert zu haben? Brauchen wir Geheimdienste, deren Berichte und Analysen oft nicht das Niveau erreichen, dass die Texte der Politikwissenschaftler_innen an den Universitäten haben? Solche Geheimdienste brauchen wir nicht. Deshalb können wir ruhig breit darüber diskutieren: Wie wäre es mit einer Abschaffung der Geheimdienste?

•  Was soll mit Edward Snowden geschehen?

‣Die Bundesregung hat bisher noch nicht einmal mit ihm gesprochen. Eine Delegation des Bundestages sollte ihn sofort in Moskau aufsuchen und seine Aussagen zu Protokoll nehmen.

‣Eine Bundesrepublik, die im Umgang mit Überwachung, Datensicherheit und ihren Geheimdiensten grundsätzlich politisch umgesteuert hat, eine solche Bundesrepublik sollte auch das Rückgrat haben, dem Druck der USA zu widerstehen und Edward Snowden unter ihren Schutz zu nehmen. Snowdon sollte politisches Asyl in Deutschland bekommen.