Warum wir alle in Genossenschaften wohnen sollten und warum wir es nicht tun

Demokratisch Wohnen

Wir leben in einer Demokratie, und können doch fast nichts entscheiden. Wir entscheiden nicht, wie wir unsere Lebenszeit verbringe, das machen die Chefs. Wir entscheiden nicht über die Löhne in Supermärkten, das machen die Filialleiter*innen. Und ob wir eine Wohnung bekommen oder nicht entscheiden allein die Vermieter*innen. Diese Menschen bestimmen jeden Tag über uns, und wir haben keinen von ihnen gewählt. Warum eigentlich nicht?

Ein bisschen anders ergeht es den Glücklichen, die in einer der ca. 30.000 Kölner Wohnungen im Eigentum von Genossenschaften leben. Sie wohnen nicht nur günstig, sondern selbstbestimmt. Das liegt an den drei Prinzipien, auf denen Wohnungsgenossenschaften beruhen:

  • Förderprinzip: Die Genossenschaft ist nicht dazu da, Profite zu erwirtschaften, sondern ihre Mitglieder mit bezahlbarem und lebenswertem Wohnraum zu versorgen.
  • Identitätsprinzip: Die Spaltung in Vermieter*innen und Mieter*innen wird aufgehoben, die Genossenschaftsmitglieder sind ihre eigenen Vermieter*innen. Eigenbedarfskündigungen gibt es nicht, das Wohnrecht besteht ein Leben lang.
  • Demokratieprinzip: Entscheidungen werden demokratisch getroffen. Nicht die Anzahl der Anteile bestimmt über den Einfluss, sondern es gilt pro Kopf eine Stimme.

Demokratischer wird Wohnen im Kapitalismus nicht.

Genossenschaften in Köln: Geschichte von drei Wellen

In Köln gibt es viele Wohnungsgenossenschaften, nur leider viel zu wenige. Sie haben ulkige Namen wie BAUGELAST, Fortschritt oder Wohnungs-Genossenschaft Köln 1896 (die früher noch griffiger Katholische Wohnungs-Genossenschaft im Gesellenhospitium hieß). Wer das verstehen will, muss ihre Geschichte kennen. Die ersten Wohnungsgenossenschaften in Köln wurden vor über hundert Jahren gegründet, um die damalige Wohnungsnot zu lindern. Sie gingen vor allem auf Wohltäter und Kirchen zurück, so zum Beispiel die Wohnungs-Genossenschaft Köln 1896. Möglich war das durch staatliche Kredite. Das Modell war erfolgreich und etablierte sich. In diese Zeit fällt auch die Gründung der noch heute bestehenden GAG, die damals als kommunales Service-Unternehmen für die Genossenschaften dienen sollte. Sie unterstützte die kapital- und organisationsschwachen Genossenschaften, die aber selbst Verwaltung und Vermietung übernahmen. Das Konzept war äußerst innovativ. Zwischen den Weltkriegen versagte der Staat bei der Versorgung mit dringend benötigtem Wohnraum. Die Menschen mussten sich selbst helfen, was in Köln zur zweiten und bis heute größten Welle von Genossenschaftsgründungen führte. Im Vergleich zu ihren Vorgängern waren sie selbstorganisierter und deutlich politischer. Die wichtigsten Akteure waren Sozialisten, Christen und Reaktionäre, jeweils mit eigenen Genossenschaften und Verbänden. Die Fortschritt war zum Beispiel eine sozialdemokratische Gründung. Aufgrund der mächtigen und zumindest offiziell neutralen GAG war die Spaltung allerdings nicht so tief wie zum Beispiel in Berlin. Die dritte und kleinste Gründungswelle gab es nach dem zweiten Weltkrieg, wiederum in einer Situation großer Wohnungsnot. Ein Beispiel ist die BAUGELAST.

Vor der dritten Gründungswelle beschädigten die Nazis Genossenschaften jedoch nachhaltig. Am härtesten traf es die sozialistischen Genossenschaften. Sie wurden enteignet oder gleichgeschaltet. Im katholisch dominierten Köln hatten es die christlichen Genossenschaften nur zunächst etwas leichter, auch auf sie wuchs der Druck unter den Faschisten stetig. Durch gezielte Verschleppung aber auch schlichten Zufall gelang es einigen Genossenschaften, den Zwangsverschmelzungen bis zum Sieg der Alliierten zu entgehen. Die Fortschritt beschloss kurz darauf, „alle Nazis wegen genossenschaftsschädigendem Verhalten aus der Genossenschaft auszuschließen“, man könne „nicht erwarten, daß wir mit ihnen unter einem Dache wohnen“.

Die Zerstörung durch die Nazis wirkte lange nach. Sie betraf nicht nur die Bausubstanz, sondern auch das Personal, die Organisation, das Vermögen und die Kultur der Genossenschaften. In Verbindung mit einem mangelnden staatlichen Willen zur Förderung von Genossenschaften nahm ihre Bedeutung in den Jahrzehnten nach dem Krieg zunehmend ab.


Wohnungsbau geht auch fernab vom bevölkerungsschädlichen Immobilienkonzern, der sich für Profite interessiert, nicht für gutes Wohnen. Stichwort: Neue Gemeinnützigkeit!

Für ein rotes Köln!


Aktuelle Wohnungssituation in Köln: Ein ewiger Kreis

Warum wir alle in Genossenschaften wohnen sollten und warum wir es nicht tunDie Wohnungsfrage ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Sie ist unmittelbar verknüpft mit rassistischer Diskriminierung, Klimakrise und Klassenkampf. Der äußerst angespannten Wohnungssituation steht in Köln kein zukunftsfähiges Konzept entgegen. Der Anteil sozial geförderter Wohnungen am Gesamtbestand ist seit 2008 von 8,5% auf 6,9% gesunken.  Zwar bietet Köln Investor*innen äußerst günstige Kredite, bindet die Bauherr*innen aber maximal 25 Jahre an soziale Vorgaben. Deshalb wird der Anteil sozial geförderten Wohnraums auf Dauer nicht oder nur wenig steigen. Denn auch wenn neue sozial geförderte Wohnungen entstehen, läuft für alte im selben Zeitraum die Sozialbindung aus. Das ist zudem ineffizient, da die meisten sozial geförderten Wohnungen sich in Vierteln befinden, in denen der Preisunterschied zum freien Wohnungsmarkt gering ist. Ihr Anteil beträgt in Chorweiler mehr als 22%, in der Innenstadt dagegen weniger als 3%. Gleichzeitig zahlte die Stadt Köln 2018 22 Mio € Wohngeld. Dabei muss man sich die wirtschaftlichen Zusammenhänge klarmachen: Das Geld, mit dem erst der Bau und dann die Miete finanziert werden, landet letztlich in den Taschen der Unternehmen und Banken. Die Stadt Köln investiert nicht in das Wohnen, sondern in das Vermieten.


„Was man heute unter Wohnungsnot versteht, ist die eigentümliche Verschärfung, die die schlechten Wohnungsverhältnisse der Arbeiter durch den plötzlichen Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten erlitten haben; eine kolossale Steigerung der Mietspreise; eine noch verstärkte Zusammendrängung der Bewohner in den einzelnen Häusern, für einige die Unmöglichkeit, überhaupt ein Unterkommen zu finden. […]Das Resultat ist, daß die Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis gedrängt, daß Arbeiter- und überhaupt kleinere Wohnungen selten und teuer werden und oft gar nicht zu haben sind, denn unter diesen Verhältnissen wird die Bauindustrie, der teurere Wohnungen ein weit besseres Spekulationsfeld bieten, immer nur ausnahmsweise Arbeiterwohnungen bauen.“ (Friedrich Engels)


 

Vierte Gründungswelle wann?

Warum wir alle in Genossenschaften wohnen sollten und warum wir es nicht tunEin anderes Wohnen ist möglich, der Kreis kann durchbrochen werden. Wer sich die Geschichte Kölns anguckt, muss sich fragen: Warum 25 Jahre Sozialbindung, wenn ich 100 Jahre Solidarität haben kann? Warum für Unternehmen und Banken Gewinne ermöglichen, wenn dasselbe Geld auch meiner nachbarschaftlichen Gemeinschaft zugutekommen könnte? Warum mich Profitinteressen beugen, wenn ich mitbestimmen könnte? Eine Lösung können Wohnungsgenossenschaften sein. Sie machen vor, wie bedürfnisorientiertes und demokratisches Wirtschaften funktioniert. Dabei darf man sich aber keinen Illusionen hingeben. Wohnungen im Eigentum von Genossenschaften sind rar, ihr Anteil beträgt in Köln ca. 6%. Und wenn mal ein Platz frei ist, ist der Beitritt zunächst mit nicht unerheblichen Kosten verbunden, auch wenn das Wohnen langfristig günstiger ist. Genossenschaftsmitglied zu sein ist also ein Privileg und wird es bleiben, solange die Stadt nicht mehr in diese Wohnform investiert. Zudem ist Genossenschaft nicht gleich Genossenschaft. Wie Parteien und Gewerkschaften können sie ein Mittel der Unterdrückung oder der Befreiung sein, je nach dem in wessen Hand sie liegen. Es soll auch „Liberale“ in der AfD geben, die der Idee nahestehen. Auf solche Nachbar*innen verzichte ich aber gerne.

In der Vergangenheit waren es Wohnungsnot, staatliche Kredite und Selbstorganisation, die zu den Gründungswellen geführt haben. Die Wohnungsnot ist da, das Geld auch. Ein zunehmend autoritärer Staat, feudale Bosse und tyrannische Vermieter*innen können bekämpft werden, indem wir daran anknüpfen, was früher die drei Säulen der Arbeiter*innenbewegung waren: Partei, Gewerkschaft und Genossenschaft.

Tl;dr: Genossenschaften sind toll, aber es gibt zu wenige. Geld ist da, man muss es sich aber erstreiten.


DIE LINKE will solidarische Ökonomie durch geeignete Rahmenbedingungen, regionale Wirtschaftspolitik und Existenzgründungshilfen fördern. Insbesondere Wohnungsgenossenschaften und andere gemeinschaftliche und demokratisch organisierte Unternehmen und Selbsthilfeorganisationen im Wohnungssektor werden von der Partei DIE LINKE unterstützt, sofern sie das soziale Ziel der bezahlbaren Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung verfolgen.“