Hartz IV heißt jetzt Bürgergeld

Bild der Agentur für Arbeit KölnEs war ein durch und durch unwürdiges Schauspiel, welches in dieser Woche in Vermittlungsausschuss, Bundestag und Bundesrat seinen vorläufigen Abschluss fand. Bereits am Montag hatten die unionsmitregierten Länder ihre Zustimmung zum geplanten Bürgergeld verweigert und das Gesetzespaket in den Vermittlungsausschuss verwiesen. Erwartungsgemäß wurde das Reformpaket dort noch mal ordentlich abgespeckt: Es soll weiterhin ordentlich sanktioniert werden (dürfen), die sogenannte Karenzzeit wurde gekürzt, das erlaubte Schonvermögen um 20.000 Euro gesenkt. Auch dass Menschen auf Jobsuche zwei Jahre lang einen ausreichenden Teil ihrer Rücklagen behalten und nicht in eine angemessen billige Wohnung umziehen müssen, fand die CDU zu großzügig. Arbeiten würde sich so nicht mehr lohnen, lautete ihr zentrales Argument. Die Zugeständnisse der Ampel-Koalition an die Union sind erheblich, weshalb LINKE-Vorsitzende Janine Wissler bereits lakonisch befand: „Die Reform fällt aus“ (1). Außer einer dringend überfälligen und auch mit Blick auf die Inflation viel zu niedrigen Erhöhung des Regelsatzes um bescheidene 53,- Euro ändere sich nichts wesentliches. Man könnte es auch Hartz V nennen.

Ampel-Koalition reformiert Sozialabbau

Schlussendlich ist all das, was nun auf den Weg gebracht wird, weit von dem entfernt, was soziale Sicherungssysteme in diesen Zeiten leisten sollten. Auch reichen die nun beschlossenen Verbesserungen lange nicht an die sozialpolitischen Konzepte der LINKEN heran, die bereits vor 15 Jahren Grundzüge einer sanktionsfreien und bedarfsdeckenden Mindestsicherung vorgelegt haben (2). Da in die Zeit der Einführung des Arbeitslosengeldes II/Hartz IV auch weitreichende Entlastungen der Besser- und Best-Verdienenden gefallen sind, lässt sich getrost von der größten Umverteilung in der Geschichte der BRD sprechen. Beispielhaft zu nennen wären hier das Gesetz zu steuerlichen Freistellung von Veräußerungsgewinnen (2000), das Finanzmarktförderungsgesetz (2002) oder das Gesetz zur Einführung von Hedgefonds und Private-Equity-Gesellschaften (2003). Das rot-grüne Intermezzo vollzog die neoliberale Wende.

SPD kann ihre “Resozialdemokratisierung”  nicht verwirklichen

Natürlich ist es völlig verständlich, dass sich insbesondere die SPD den Mühlstein Hartz IV vom Hals schaffen will. In der Rückschau bescherte die unsoziale Agenda-Politik ja nicht nur diesem Land den größten Sozialabbau, den es je erlebt hat, auch der historische Niedergang der Sozialdemokratie nahm damit seinen Anfang. Inzwischen wieder ein wenig der Zukunft zugewandt, hatten die Sozialdemokraten bereits vor drei Jahren ein paar Pfeile mehr im Köcher, als noch unter der Ägide von Andrea Nahles die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I, die Kindergrundsicherung und die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung thematisiert wurden. Nichts von dem wurde umgesetzt.

Weg mit Hartz IVImmer diese Hetze

Bemerkenswert ist aber vor allem, wie rückständig sich die Union in der ganzen Auseinandersetzung präsentiert hat. Die unerträglichen Äußerungen von Söder und Merz gemahnen an die widerlichen Tiraden vergangener Jahre, in denen CDU und CSU jedwede konkrete Verbesserung blockiert hatten. Dass „die hart arbeitende Bevölkerung gegenüber den faulen Arbeitslosen“ benachteiligt werde, gipfelte in den Agenda-Jahren regelmäßig in unerträglichen Schmähungen der von Erwerbslosigkeit betroffenen Menschen. Der damalige grüne Landtagsabgeordnete Oswald Metzger (später CDU) konstatierte seinerzeit, dass viele Leistungsbezieher „ihren Lebenssinn darin sehen, Kohlenhydrate oder Alkohol in sich hineinzustopfen und Fernsehen zu schauen“ (3). „Spätrömische Dekadenz“ warf der damalige FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle 2011 dem Prekariat vor und bleibt somit in unrühmlicher Erinnerung. Die ehemalige bayrische Sozialministerin Haderthauer unterstellte der SPD bereits 2010, dass sie „Hartz-IV-Familien offenbar mehr geben wollen als vergleichbaren arbeitenden Familien“ (4).

Das Narrativ von der nicht lohnenden Arbeit

Es waren vor allem CSU-Kommunalpolitiker, die vor einigen Jahren ausrechnen ließen, wie viel Geld Leistungsbezieher „einsparen“, die über die Lebensmitteltafeln doch gut versorgt seien, die Regelsätze sollten entsprechend gekürzt werden. Konsequenterweise wurden im Vorfeld der Bürgergeld-Entscheidung obskure Fehl-Berechnungen an Boulevard-Medien, Tresen und Talkshows gegeben und so die alte Mär vom üppig alimentierten Faulenzer genährt. Das ist genauso widerlich wie vor zwanzig Jahren, aber so macht die Union Stimmung und Politik und manchmal verfängt das auch, wie man an der aktuellen Entscheidung zum Bürgergeld sehen kann. Bemerkenswert ist, dass selbst der parlamentarische Geschäftsführer der FDP Johannes Vogel in dem Zusammenhang von „alternativen Fakten“ sprach und Friedrich Merz die Verbreitung von „Fake News“ unterstellte (5).

Der renommierte Sozialreferent Dr. Johannes Steffen hat zahlreiche Daten und Erläuterungen zusammengetragen, die geeignet sind, die immer gleiche Diskussion zu entpolemisieren. Wieder und wieder zu behaupten, der nicht arbeitende Teil der Bevölkerung würde in irgendeiner Form besser gestellt, ist kalte Propaganda – nichts anderes als Stimmungsmache aus der untersten Schublade. Steffen hat einige Beispielrechnungen aufgemacht und sie auf seinem Portal hinterlegt:

http://www.portal-sozialpolitik.de/index.php?page=narrativ_nicht_lohnende_arbeit

Verweise:

(1) https://taz.de/Kompromiss-beim-Buergergeld/!5893756/

(2) https://www.die-linke.de/themen/soziale-sicherheit/

(3) https://www.welt.de/welt_print/article1387226/Gruene-ruegen-Hartz-IV-Kritiker-Oswald-Metzger.html

(4) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/csu-ministerin-haderthauer-hartz-iv-ist-kein-wunschkonzert-a-719808.html

(5) https://taz.de/Ende-von-Hartz-IV/!5894374/