Gretas Weckruf

Pauls Post

07.10.2019

Liebe Freundinnen und Freunde,

hört, schaut und lest diese Rede Gretas vor den Vereinten Nationen in New York: „How dare you“ (Link zur Rede). Im Widerspruch zu allen Unterstellungen und Verleumdungen fragt sie voll faktenreicher Klarheit mit emotionaler Inbrunst, wie wir es wagen können, unsere gemeinsame Welt weiter zu zerstören, folgenlose Reden zu schwingen oder immer wieder dann doch nicht eingelöste Reformen zu versprechen, während unsere  Wirtschaftsweise Menschen und andere Lebewesen vernichtet. Vielfach wissenschaftlich nachgewiesen zeigen Klimaveränderungen, Artensterben und vieles andere mehr das ökologische System insgesamt auf der Kippe. Schon der Papst hat es eindringlich mahnend auf eine kurze Formel gebracht: „Kapitalismus tötet“. Nicht nur durch Kriege mit Massenmigration und durch zerstörerische Ausbeutungsformen, sondern in der puren Funktionsweise einer neoliberal vorangetriebenen Globalisierung mit ihren konkurrenzgetriebenen Abwertungen von Löhnen und Sozialleistungen, Beschäftigung und Umweltschutz.  Schon Marx hatte die Schlussfolgerung gezogen, dass der Kapitalismus die Springquellen des gesellschaftlichen Reichtums vernichtet: Arbeiter und Erde, Menschen und Natur.

Gesellschaftliche Organisation der Produktivkräfte auf der Tagesordnung

Es sei denn, seine mannigfaltigen Destruktionskräfte können sozial gebändigt werden. Das ist die bald 200jährige Geschichte der  Arbeiterbewegung. Teilweise erfolgreich, teilweise vergeblich; Fortschritte und Rückschritte. Sisyphusarbeit, jedoch auf wachsender Stufenleiter.  Heute gehört die ökologische Transformation des kollabierenden Gesamtsystems auf die Tagesordnung und damit die Befreiung der Produktivkräfte aus den Fesseln privater Interessen. Dafür bietet bereits unsere rechts- und sozialstaatliche Verfassung nicht nur einen legitimen Handlungsrahmen; vielmehr sind wir als Akteure eines demokratisch verfassten Gemeinwesens gehalten, die Würde des Menschen in der sozialen und nunmehr auch ökologischen Verpflichtung des Eigentums in zunehmend öffentlichen und gesellschaftlichen Formen einzulösen. Das ist ebenso das Gebot praktischer Vernunft wie säkularer Ethik. Dabei schließt der kategorische Imperativ Kants bezogen auf das individuelle Handeln in der Perspektive gesamtgesellschaftlicher Verantwortung keinesfalls entsprechende religiöse und spirituelle Gebote einer „Bewahrung der Schöpfung“ aus. Sie gehen allesamt als immaterielle und materielle Triebkräfte in die aktuellen internationalen  Massenproteste wie zuvor schon in die Friedens- und Antiatomkraftbewegungen ein. Diese bringen erst das politische System zum Tanzen, hier auch die in ihnen aktiven „Mosaiklinken“ zu verstärkter Wirksamkeit.

Organischer Zusammenhang sozialer und ökologischer Aktivitäten

In der Gegenwart stehen ökologische und soziale Aktivitäten fortschreitend in einem organischen Zusammenhang, der nur wider besseres Wissen, rückwärts gewendet, auseinander gerissen werden kann. Was dank theoretischer Analyse im „Kapital“ von Marx schon anklingt, wird in der globalen kapitalistischen Entwicklung zur praktischen Notwendigkeit: aufbrechende Widersprüche in der existenzsichernden Bewahrung von Arbeitsplätzen, Sozialleistungen und Bildungsangeboten zu bewältigen, wenn ökologisch destruktiv wirkende Produktionsformen durch nachhaltig nützliche transformiert werden müssen. Das betrifft unmittelbar einsichtig die Ersetzung fossiler Brennstoffe durch erneuerbare, auch wenn das angestrebte „solare Zeitalter“ noch nach Zukunftsmusik klingt. Ferner angesichts des sich vielerorts abzeichnenden Verkehrsinfarktes die Entwicklung eines öffentlich integrierten Mobilitätssystems mit verschiedenen Verkehrsträgern, in denen das Privatauto seine dominierende Stellung verliert. Schließlich eine naturgerechte und nachhaltige Landwirtschaft, die aus industriellen Verwertungszwängen mit ihren zerstörerischen Wirkungen befreit wird.  Es handelt sich um komplexe Übergangsprozesse, die gebrauchswertorientierte investitions- und arbeitsmarktpolitische Interventionen unter aktiver Beteiligung der Betroffenen erfordern. Sie bedürfen demokratischer Mitbestimmungsrechte und öffentlicher Gestaltungsmöglichkeiten von kommunalen bis zu staatlichen Ebenen, in denen nötig verbleibende Marktfunktionen institutionell und gesellschaftlich eingehegt werden müssen.

Verbindende Programm- und Projektinitiativen unterschiedlicher Kräfte

Hierfür könnte DIE LINKE mit weiteren Protagonisten offen gehaltene  Programm- und Projektinitiativen zu sozial-ökologischen Transformationsprozessen etwa in Kommunen, Regionen und Bundesländern, insbesondere bei schon vorhandenen Beteiligungsformen starten. Vielfältige offene Initiativen, in der in laufender Zusammenarbeit erprobte politische Partner und neue gesellschaftliche Kräfte zur Mitarbeit motiviert  werden. Das gilt je nach Transformationsprojekt für Beschäftigte und Betriebe, Arbeitgeber und Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbände und viele andere mehr. Natürlich auch für Vertreter öffentlicher Institutionen, insbesondere in Gesundheits- und Bildungsbereichen wie aus wissenschaftlichen Fachdisziplinen in den entsprechenden Arbeitsfeldern. Erfahrungen aus der europäischen und hier vor allem nordischen Arbeits-, Technik- und Umweltforschung zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen sprechen für herrschaftsfreie Diskursplattformen und dialogorientierte Suchkonferenzen zur jeweiligen thematischen Erschließung von Lösungsmöglichkeiten und Bestimmung von Handlungsträgern. Das heißt, Gretas Weckruf gesellschaftlich verbindend und breitenwirksam umzusetzen und dabei multiple Transformationsperspektiven mit unterschiedlichen Protagonisten zu eröffnen. Diese bedürfen gegen den absehbaren Widerstand etablierter Herrschaftskräfte in Wirtschaft, Gesellschaft und Staat jedoch immer wieder vielfältigen gesellschaftlichen Drucks von unten und aufklärender Aktivitäten in sich verbreiternden und vertiefenden Bündniskonstellationen – einer lebendigen, gesellschaftlich getragenen Demokratie.

Paul  am 7. Oktober 2019

 

Paul Oehlke ist Sozialwissenschaftler. Er gehört der Kölner LINKEN sowie dem Beirat der Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW an.

– Namentliche gezeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Kölner LINKEN oder der Redaktion wieder. –