KVB Blues – was nicht im Geschäftsbericht steht – Teil 3 – Großspuriges Leben von der Substanz

KVB Blues – was nicht im Geschäftsbericht steht – Teil 3 - Großspuriges Leben von der Substanz

In der letzten Folge wurde gezeigt, dass die Düsseldorfer Rheinbahn (620.000 Einwohner) mehr Schienen hat als die KVB, insgesamt 25 cm Schiene pro Einwohner in Düsseldorf und nur 14 cm in Köln. Wie konnte es zu diesem schwer aufholbaren Vorsprung der D-Dörfler kommen? Was ist da schief gelaufen in der Stadt mit K? Es ist eine Geschichte von Größenwahn, Betonlobbyismus und kläglichem Scheitern.

Das “größte städtebauliche Projekt in Deutschland” scheitert

1992 beschloss der Stadtrat den Bau einer Nord-Süd-Bahn, „die den Bereich des Hauptbahnhofes und die nördlichen Stadtteile direkt mit der Altstadt, der Südstadt und den anderen im Kölner Süden gelegenen Stadtteilen“ (KVB Lagebericht 2005) verbinden und dabei über eine Strecke von 4 km die Altstadt untertunneln sollte. Großspurig wurde vom „größten städtebaulichen Projekt in Deutschland“ (a.a.O.) geschwärmt. 1.1 Mrd. Euro flossen seither durch die Bücher der KVB in dieses Vorhaben und nach Darstellung der KVB wurde es 2015 „weitgehend abgeschlossen“.

Aber jede*r in Köln weiß: Das stimmt nicht ganz. Das ausdrückliche Projektziel, die direkte Schienenverbindung der südlichen Stadtteile mit dem Hauptbahnhof und dem Norden, wurde bis heute nicht erreicht.

Am 03.03.2009 geschah das Unglück an der Tunnelbaustelle am Waidmarkt, bei dem zwei Menschen tragisch ums Leben kamen und das Stadtarchiv zerstört wurde. Ursache war Pfusch am Bau, wie ein Gericht 2018 feststellte und einer der Schuldigen wurde verurteilt. Jenseits justiziabler Schuld bleibt festzuhalten: Stadt und KVB waren offenkundig nicht in der Lage, eine Baustelle dieses Kalibers effektiv zu beaufsichtigen. Köln hatte sich übernommen und manche sagen, das ist der Preis, wenn man hoch hinaus will, aber am Personal spart. 

Wird denn irgendwann die Nord-Süd-Bahn doch in Dienst gehen? Dazu sagt der am 22.06.2023 veröffentlichte KVB-Bericht: „Ein konkretes Datum zu nennen, an dem die Bauarbeiten abgeschlossen sind, ist nicht möglich, gerechnet wird derzeit mit einer Bauzeit von acht bis neun Jahren, also bis 2028/2029.“ Kann der KVB-Vorstand nicht rechnen? Menschen machen Fehler, es zeigt aber deutlich die mangelhafte Kompetenz im Projektmanagement.

In dem Loch am Waidmarkt verschwanden auch 1,143 Mrd. Euro Investitionen der KVB, in Preisen von 2023 waren das 1,6 Mrd. Euro.  Das machte etwa 60% der von der KVB in den Jahren 2003-2017 geleisteten Investitionen aus. Und dabei sind die langjährigen Planungsleistungen der Stadt Köln noch gar nicht mitgerechnet. Köln hatte mit dem Projekt alles auf eine Karte gesetzt – und verloren!

KVB Blues – was nicht im Geschäftsbericht steht – Teil 3 - Großspuriges Leben von der Substanz
Eigene Grafik, Datenquelle KVB-Geschäftsberichte 1990-2022

In der KVB Bilanz spiegelt sich das so: 2014 waren die Sachanlagen der KVB mit 669,9 Mio. wieder fast genauso bewertet wie 2005 (665 Mio.) – die KVB hatte buchmäßig ein Jahrzehnt verloren, und das trotz Investitionen in diesem Zeitraum von 1,56 Mrd. €, davon allein knapp 1 Mrd. in die Nord-Süd-Bahn.

KVB Blues – was nicht im Geschäftsbericht steht – Teil 3 - Großspuriges Leben von der Substanz
Eigene Grafik, Datenquelle KVB-Geschäftsberichte 1990-2022

Tunnel-Freunde unter den Kölner Lokalpolitiker*innen verweisen in dem Zusammenhang gerne darauf, dass der größte Teil dieser Beträge vom Bund gezahlt wird. Das ist nur die halbe Wahrheit. Auch bei den Beiträgen vom Bund handelt es sich um Steuergelder. Und die immensen Kostensteigerungen werden vom Bund nicht übernommen werden, auch wenn sie bei Projekten dieser Größenordnung üblich sind. Köln kam deshalb schon vor dem Unglück unter Kostendruck.

Die Folgen waren rigorose Sparprogramme für den laufenden Betrieb der KVB. Zunehmend wurde die Leistungserbringung an externe Busunternehmen vergeben, deren Fahrer:innen schlechter bezahlt wurden. Durch Fahrpreiserhöhungen wurde der Anteil der Fahrpreiserlöse am Umsatz von 66,8% in 2004 auf 81,6% in 2016 gesteigert. Auf Kosten von Mitarbeiter*innen und Fahrgäste musste den Größenwahn der Lokalpolitiker von SPD, CDU und FDP finanziert werden.

Der Ausbau des Schienennetzes in der Fläche kam in dieser Zeit fast zum Erliegen. Eine Ausnahme bildete die Verlängerung der Linie 5 um 1,8 km nach Butzweilerhof, die 2010 nach nur acht Monaten Bauzeit in Betrieb ging. Die dort ansässigen Unternehmen hatten sich bei der Stadt Gehör verschafft und sogar selber 5 Mio. Euro zu den Baukosten von 18 Mio. beigetragen. Wenn man diese Zahlen mal hochrechnet, führt das zu interessanten Ergebnissen:  

100 km Schiene für 1 Mrd. Euro in 12,5 Jahren – das wär´s gewesen!

Für 1 Mrd. € hätte man also zu den Preisen, die die KVB 2010 bezahlte, 100 km Schiene bauen können. Und das in 12,5 Jahren, wenn immer an drei Linien gleichzeitig gebaut worden wäre. Das wär´s gewesen! Und der Clou: Mit 100 km mehr KVB-Schiene wäre Köln heute, pro Einwohner gerechnet, auf Gleichstand mit Düsseldorf (25cm Schiene pro Einwohner:in)!

Wir halten fest:

  • Mit dem „größten Nahverkehrsprojekt Deutschlands“ hatte Köln, eine Stadt die mittlerweile sogar glaubt, für den Neubau einer Kita auf Investoren angewiesen zu sein, sich übernommen.
  • Ein massiver Ausbau des oberirdischen Nahverkehrs hätte viel mehr Nutzen gebracht für das viele Geld und wäre zugleich viel weniger riskant gewesen.
  • Den Preis haben nicht nur „die Steuerzahler“ (der Bund), sondern auch ganz massiv die Stadt, die KVB, deren Mitarbeiter und die Fahrgäste bezahlt. Wir alle in Köln haben bezahlt, denn wir haben bis heute viel weniger KVB bekommen, als wir hätten haben können.
  • das Projekt hat den ÖPNV in Köln um viele Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte zurückgeworfen.

Aus Erfahrungen gelernt – mit einem Tunnel durch die Innenstadt?

Aber nicht alle hier in Köln haben Lehren aus dem Debakel gezogen. Stadtverwaltung und Oberbürgermeisterin wollen – wieder – einen neuen Mrd. Tunnel durch die Innenstadt! Und sie sind nicht allein. CDU und FDP stehen dahinter. Aber was ist mit der SPD? Die ist dagegen, Gott sei Dank. Die möchte dafür einen Tunnel, der viel länger sein soll und unter dem Rhein durchführen soll. Volt, Mehrheitsbeschaffer von Schwarz-Grün, wollen sogar einen vierspurigen Tunnel. Damit wäre im Unterschied zur Planung der Verwaltung wenigstens eine Kapazitätserhöhung verbunden. Da endet aber die Sinnhaftigkeit, denn die Kosten und alle anderen Probleme wären natürlich auch verdoppelt.

Gegen den neuen Tunnel stellen sich bisher die Grünen. Aber durch das Bündnis mit der CDU weiß niemand, zu welchen Zugeständnissen sie bereit sein werden. Die einzige Partei, die im Kölner Rat über all die Jahre unbeirrt für einen oberirdischen Ausbau der KVB eintritt, ist – wen überrascht das? – tatsächlich DIE LINKE.

„Betongold“ wird in der Innenstadt verdient

Die Lernfähigkeit von Kommunalpolitiker:innen ist eine Seite der Tunnelfrage. Eine ganz andere ist die nach den involvierten Interessen.

  • Investitionen in Verkehrsinfrastruktur steigern steuerfrei die Immobilienwerte im Umfeld.
  • Schneller Zugang zu den Konsumtempeln in der Schildergasse und Hohe Straße fördern deren Geschäft, auf Kosten des Einzelhandels in den Stadtteilen.
  • Bauunternehmen, die Mrd.-Aufträge an Land ziehen, sind gut aufgestellt, um die Entscheidungsprozesse schon weit im Vorfeld zu beeinflussen.

Es gibt also starke wirtschaftliche Interessengruppen, die durchaus in der Lage sind, sich diskret und nachdrücklich Gehör zu verschaffen. In Köln und Umland gab es auch bei einer ganzen Anzahl von öffentlichen Großprojekten regelrechte Interessensverquickungen bis zur direkten Bestechung zwischen der Wirtschaft und den ihr nahestehenden Parteien bzw. Politikern. Gibt es solche Hintergründe auch bei der Tunnel-Manie von CDU, FDP und SPD? Dafür liegen bisher keine Belege vor, überraschen würde es aber nicht.

Verkehrswende in Köln würde um weitere 20 Jahre vertagt

In Köln gibt es auch eine Zivilgesellschaft. 20 Kölner Organisationen und Gruppen erklärten Anfang 2020: „Statt sich den Herausforderungen zu stellen, läuft Köln Gefahr, Personal und Geld in ein weiteres riesiges Tunnelprojekt zu stecken. Der Tunnel würde ein Vielfaches einer oberirdischen Lösung kosten und trotzdem nicht mehr leisten. Die Verkehrswende in Köln würde um weitere 20 Jahre vertagt, denn bis dahin wäre dann ein Großteil der städtischen Ressourcen gebunden.“ (Aktionsgemeinschaft Kölner Verkehrswende 2020)

„Betongold“ ist ein treffender Ausdruck von Gabu Heindl, einer Wiener Architektin und linken Kommunalpolitikerin, der auf die Geschäftemacherei mit den Großprojekten in den Innenstädten zielt.

KVB-Blues – Was nicht im Geschäftsbericht steht

Der aktuelle Geschäftsbericht des KVB- Vorstands geht über zahlreiche Probleme der KVB hinweg. Um das Ausmaß der nötigen Ertüchtigung abzusehen, müssen aber die Schwachstellen auf den Tisch. In einer Beitragsserie gehen wir den Problemen nach, die nicht im KVB-Geschäftsbericht stehen.

KVB-Blues 1: Die KVB in der Krise

KVB-Blues 2: Köln wächst und die KVB hält nicht mit

KVB-Blues 3: Großspuriges Leben von der Substanz

KVB-Blues 4: Wenn Aufzüge und Rolltreppen stehen

KVB-Blues 5: Die Vorstände verdienen viel zu viel – und die Mitarbeiter zu wenig

Demnächst:

KVB-Blues 6: Die KVB ist zu teuer

KVB-Blues 7: Die KVB ertüchtigen und ausbauen